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Freitag, 5. Juli 2002
das ist eigentlich der erste Teil

Regina „Gina“ Spanny

Wie aus der Aktion "Hallo Nachbar" ein "Nachbar in Not" werden kann

Eine Langzeit - Reportage

Mit Nachbarn hat wohl jeder so seine Erfahrungen und an und für sich sind Nachbarn ja eine praktische Erfindung, einmal abgesehen davon, daß sie auch ein notwendiges Übel sind, in Zeiten einer ständig wachsenden Bevölkerungsdichte. Aber manchmal gibt es ganz besondere Exemplare von Nachbarn. Ich scheine da ein besonderes Talent zu haben, mich immer mit noch besondereren Nachbarn zu umgeben und das ist mein Glück, denn sonst wäre es wohl nie zu dieser wohlrecherchierten Undercover - Reportage gekommen.
Zum Zwecke einer möglichst abdeckenden Studie, habe ich mir jetzt auch eine Wohnung in Wien genommen, um einen Vergleich zwischen Stadt- und Landnachbarn ziehen zu können. Ich bin also doppelt gesegnet mit noch besondereren Nachbarn.
In Wien wird die angrenzende Wohnung von einer etwas verwirrten alten Dame bewohnt. Meine erste akustische Begegnung mit ihr war schon ein tolles Erlebnis.
Ich war ganz alleine in meiner neuen Wohnung, die ich mit einer Kollegin und ihrem Freund bewohne. Und man weiß ja, wie das so ist, in einer neuen Umgebung: Viele unbekannte Geräusche und man hört eben auf alles, was einem ungewohnt ist. (Nein, im Normalfall bin ich kein Angsthase, keine Rede, aber besser zweimal hingehört, als einmal umsonst gefürchtet.) Wie ich schon sagte: Ich war ganz alleine in meiner Wohnung, als ich Ohrenzeuge einer schier unglaublichen Schimpftirade wurde: "Kaarrlli, du Oaschloch" tönte es da aus der anderen Wohnung. "Geh her da, du Trottl. Wiast jetzt herkumma, du Depp? Karrllii, du Oaschloch."
Ich hatte Mitleid mit dem armen Kaarrlli, denn ich konnte mich nicht erinnern, einen Streit gehört zu haben und beschimpfter Karli wehrte sich auch nicht, in dem er etwa zurückbrüllte.
Aber immerhin faßte ich den Beschluß, mich immer vorher zu vergewissern, daß die Nachbarin nicht auch gerade aus dem Haus ging, wenn ich das vorhatte.
Als meine Wohnungskollegin nachhause kam, berichtete ich mein ultimatives Hörerlebnis vom Nachmittag und fragte, wer denn der bemitleidenswerte Karli wäre. "Ah, die alte Höflingerin Name von der Redaktion nicht geändert is ihr wiedereinmal der Kater opascht." Eine Katze?- Ja, eine Katze. Also eine Katze. Ich war einigermaßen erleichtert. Aber mittlerweile weiß ich, daß die Höflingerin nicht viel Unterschied macht, ob das jetzt der abtrünnige Kater ist (weshalb er wohl immer wieder Fluchtversuche startet), der Installateur, der Briefträger oder gar der Hausmeister. Der zeitgeschaltete Lichtschalter am Gang ermutigt sie sogar zu behaupten: "Ihr seids jo alle Oaschlöcher.", nur weil sie denkt, irgend so ein besonders hinterfotziger Mitbewohner würde ihr immer das Licht abschalten, wenn sie gerade mitten auf den Stiegen ist.
Aber, man gewöhnt sich an alles, so auch an das heisere Geschimpfe unserer guten Nachbarin. Obwohl es schon dann und wann eine Schrecksekunde gibt. Eines schönen Abends, wir hatten uns alle schon zum Schlafengehen hergerichtet, hörten wir von drüben: "Hilfe, Hilfe. Es brennt. Es brennt." Zuerst taten wir es ab, mit einem "Die Höflingerin", aber dann flog das Fenster auf und sie rief hinaus in den Hof: "Hilfe, Hilfe, es brennt. Es brennt. Hallo, es brennt." Nun waren wir doch etwas besorgt, um nicht zu sagen alarmiert und meine Wohnungskollegin weckte ihren Geliebten, auf daß er bei der Nachbarin nach dem Rechten sähe. Der meinte, das sei doch nur wieder so ein Anfall von ihr, doch wir redeten ihm zu, besser nachgeschaut, als Mitschuld tragen am Flammentod der alten Höflingerin. Ihre erneuten Rufe halfen mit, ihn in die Jeans zu bewegen. Er hatte sich gerade ins T- Shirt gewurstelt, als es von Neuem klang: "Es brennt. Es brennt, im Fernseher drinnen, schauen sie sich das an, auf dem und dem Sender, das müssen sie sich anschauen, wie es da brennt." Dann schlossen sich die Fensterflügel wieder und es kehrte Ruhe ein. Wir atmeten erleichtert durch, der Geliebte murmelte etwas von "Ich hab’s euch ja gleich gesagt." und ging wieder schlafen und wir zwei hysterischen Weiber tranken ein Bier auf die gute Nachbarschaft.

Ja, so ist das in der großen Stadt, wenn man vor Alter und Einsamkeit das Gefühl für die Realität verliert. Da kann es schon vorkommen, daß man sich dann vor den Fernseher stellt, wo gerade ein Boxkampf läuft, auf die Teufelsmaschine eindrischt und dazu brüllt: "Ihr Oaschlecha, heats auf zum Boxn. Aufhörn hob i gsagt. Weats ihr aufhörn, ihr Oaschlecha, i kaun ma des ned auschaun.", statt daß man einfach die Fernbedienung nimmt und auf einen anderen Kanal schaltet. Es muß ja nicht unbedingt immer Eurosport sein.

Am Land ist das freilich ganz anders. Da gibt es keine so verrückten Leute. Am Land sind sie eben etwas anders verrückt und von Realitätsverlust kann auch nicht die Rede sein. Ganz im Gegenteil, da gibt es sogar Leute, die sind so eingesponnen in die eigene Realität, daß sie die Realität der Anderen gar nicht mehr wahrnehmen oder so intensiv wahrnehmen, daß Triebe und Hormone anfangen, gar arge Streiche zu spielen.
Den Abschnitt der Reportage, der sich auf dem Lande abspielt, möchte ich der Einfachheit halber und auch aus gegebenem Anlaß, mit "Romea und Julio auf dem Lande" betiteln, mit Dank an den leider schon verstorbenen Kollegen Willi Shakespeare für die Inspiration und Anlehnung. Daraus ergeben sich auch die Namen der Protagonisten, nämlich Romea und Julio, was gar nicht so schlecht ist, denn so läßt sich wenigstens ein Rest von Anonymität wahren und vielleicht nehmen sich dann etwaige Peinlichkeiten nicht ganz so peinlich aus. Die Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist nicht erfunden, ebensowenig die Orte, das Folgende ist somit bitterer Ernst.
Dann fange ich einmal an, die leidige Geschichte zu erzählen: In einem Ort unweit der Landeshauptstadt, gibt es zwei Familien. Sie sind Nachbarn. Wie könnte es auch anders sein, in einer Langzeitreportage über Nachbarschaft. Im Gegensatz zu den Familien in Willis Tragödie sind diese Familien nicht verfeindet (noch nicht zumindest), ganz im Gegenteil, die Mutter Romeas ist die Schwester des Nachbarn, der Nachbar also der Onkel der Romea und gleichzeitig so etwas wie der Stiefvater des Julio. Das hört sich nur kompliziert an, ist es aber nicht, weil er nämlich (der Onkel) nicht mit der Nachbarin verheiratet ist (was sie sehr verdrießlich stimmt) und diese einen Sohn, eben den Julio, in die Beziehung mitgebracht hat (was wiederum den Onkel manchmal sehr verdrießlich stimmt, denn mit dem Stammhalter wird es wohl jetzt nix mehr) und somit hat sie ihn auch in die Nachbarschaft mitgenommen, was jetzt die Romea ziemlich zur Weißglut bringt.
Die Romea ist etwa sechs Jahre älter als der Julio, aber das stört ihn überhaupt nicht, denn wo die Liebe hinfällt wächst kein Gras mehr. Das ganze fing so an: Der Onkel lernt die Nachbarin kennen, die damals freilich noch nicht die Nachbarin war, und die zieht mitsamt dem Sohnemann, der damals noch sehr jung war, beim Onkel ein und jetzt ist sie eben doch die Nachbarin. Und wie anfangs schon erwähnt, Nachbarn können eine ganz nützliche Erfindung sein und die Familie der Romea nahm sich der Neuankömmlinge an, vonwegen neuer Umgebung, Schulwechsel und überhaupt. Viele Probleme gab es da zu bewältigen, aber nach all den Jahren haut jetzt alles so halbwegs hin.
Der Julio wuchs zu einem jungen Mann heran und somit wechselte das Gefühl der Zuneigung zu Romea in stürmische, kaum im Verborgenen zu haltende Liebe.
Da hilft kein Predigen, kein Gutzureden, keine wüsten Drohungen und auch kein grausames Spiel. Es ist wie es ist, und Julio ist unsterblich in die Romea verliebt. Jetzt könnte man annehmen, das würde der Romea schmeicheln, daß ein um so viel jüngerer Mann in sie verliebt ist. Tut es aber nicht. Nicht daß er nicht liebenswert wäre, aber vor allem ist er ein furchtbarer Quälgeist, der einem ständig die volle Aufmerksamkeit abverlangt, in dem er ständig, und vor allem wenn er das Gefühl hat, man würde ihm nicht zuhören, den Vornamen des Ansprechpartners einbaut. Eigentlich ein genialer Kniff, aber eben furchtbar mühsam, vor allem wenn man sich darauf konzentriert, ihm tunlichst nicht zuzuhören. Das hört sich dann etwa so an: "Heute war ich Fußballspielen, Romea. Und heute hat es ja so geregnet, gell Romea und es war furchtbar gatschig, aber ich habe zwei Tore geschossen. Da steht der Karli und der will mir den Ball abnehmen, aber weil es so gatschig war haut er voll in den Gatsch, Romea und ich geh an ihm vorbei und hau den Ball ins Tor. Du, Romea..." Besonders lustig sind die ewigen Fußballnachbesprechungen dann, wenn man eigentlich etwas besseres zu tun hätte, als Julios Heldentaten in der Schlammschlacht zu lauschen. Aber in seiner Großzügigkeit übersieht Julio diese Umstände ganz und gar generös.
Aber es sind nicht nur die Ausführungen über Fußball. Er hat auch so ein paar furchtbare Angewohnheiten.
Das Haus der Romea ist immer offen für alle Menschen. Und nachdem es das Zuhause Romeas ist, kann es schon dann und wann geschehen, daß sie nicht vollständig bekleidet herumläuft, um fehlende Kleidungsstücke im Wäschezimmer zu suchen. In solchen Momenten ist der Ruf Julios "Hallo Nachbarin!" immer sehr erbaulich. Nicht, daß sich Romea ihres Körpers schämen würde, nein, das nicht, aber man muß ja nicht schüren, was man eigentlich lieber löschen würde, nämlich das Begehren des Nachbarn Julios. So erbat sie sich, er möge doch bitte, bevor er das Haus betritt anklopfen, daß man sich auf sein Kommen einstellen kann. Gut, jetzt klopft der liebe Julio artig an, nur, daß klopfen, Tür aufreißen, eintreten und "Hallo Nachbarin" quasi eine Bewegung sind und man sich somit erst recht nicht auf den Besuch, der mindestens dreimal am Tag stattfindet, einrichten kann. Wenn sich Julio wenigstens an fixe Zeiten halten würde, aber nein, er taucht immer dann auf, wenn es ihm paßt und wenn es Romea am allerwenigsten paßt. Wenn sie sich zum Beispiel gerade zur Arbeit setzt oder telefoniert.
Apropos telefonieren. Der Julio fühlt sich so zuhause im Hause Romeas, daß er gar nicht mehr bemerkt, wenn er aufdringlich oder indiskret wird. Eines Tages telefonierte Romea also und da erschallte der Ruf "Hallo Nachbarin". Julio kam und stellte sich in die Türe. "Hallo Julio. Ich telefoniere gerade." Die Reaktion eines normalen Nachbarn wäre wohl gewesen "Dann schaue ich später nochmal vorbei." oder zumindest "Ja. Entschuldige, ich habe nur eine kurze Frage.". Nicht so bei Julio, der sagt "Ja.", bleibt in der Tür stehen und hört dem Gespräch in aller Seelenruhe zu, er kommt nicht einmal auf die Idee, derweil in einem anderen Raum zu warten. Nichts, gar nichts dergleichen. Und das wurmt, denn die Fragen Julios sind immer von extremer Wichtigkeit. Sie lauten etwa so: "Du weißt nicht zufällig, wo meine Leute sind, Romea." "Nein, weiß ich nicht. Ich bin selbst erst gerade nachhause gekommen." "Aha. Na gut. Na dann... geh ich jetzt wieder." "Ja. Tu das." "Nagut. Also, tschüs dann." "Ja, tschüs." "Weißt du schon Romea, ich war heute Fußballspielen..." und bis er dann nach etwa 25 weiteren Verabschiedungen bei der Tür draußen ist, ist eine Viertelstunde vergangen. 15 Minuten kostbarer Lebenszeit vertan mit Abschiedsfloskeln und Fußballberichten und nicht zu vergessen existentiellen Fragen wie: "Ist dein Bruder daheim." "Wo sind deine Leute." "Du weißt nicht zufällig ob meine Mutter heute bei euch war." und so fort.
Aber am schlimmsten sind solche Julioerlebnisse dann, wenn Romea wirklich wichtiges zu tun hat, ihr von Julio ungeniert dabei zugesehen wird, und er glaubt zu wissen, was sie tut oder er krampfhaft versucht, zu durchschauen, was sie macht. Romea führt ein Buch, das eine Kombination aus Tage-, Arbeits- und Zitatenbuch ist. Und letztens schreibt sie gerade wichtige Passagen eines Textes in dieses Buch, unerhörter Weise aus einem anderen Buch heraus. Julio kommt, sieht Romea bei der Arbeit. "Das ist dein Tagebuch, gell Romea." "Nein, das ist so etwas wie ein Arbeitsbuch." "Du schreibst gerade, gell Romea." "Ja. Ich versuche es zumindest." "Ist das deine Aufgabe, Romea?" "Nein, Julio, ich mache das freiwillig." "Aha." Hartnäckig schaut er bei der Arbeit zu. Romea unternimmt alles um ihm zu zeigen, daß er stört und daß er verschwinden soll. Alle Zeichen werden großzügig ignoriert. Er ignoriert sogar, daß Romea ihn ignoriert. Er ist unverbesserlich. Schließlich glaubt er durchschaut zu haben, was Romea macht: "Gell Romea, du schreibst die großen Absätze aus dem Buch nocheinmal für dich zusammen." "Nein." "Aha." "Julio, ich versuche zu arbeiten." "Aha." und er macht sich noch breiter im Fauteuil. Keine Chance. Romea verläßt fluchtartig das Zimmer. Julio bleibt unbeeindruckt und folgt ihr auf den Fuß. Romea holt sich Tee. "Gell Romea, du holst dir Tee." Romea ist ob soviel Hartnäckigkeit unfähig irgendwie zu reagieren. Glücklicherweise kommt da ihre Mutter und löst sie ab. Romea flüchtet sich in ihr Zimmer.
Da klopft es an die Tür. Es ist Julio "Ich geh jetzt." 25 Verabschiedungen, dann schiebt er sich gemächlich rücklings durch die Tür und verschwindet. Für diesmal. Aber er wird wieder kommen. Und wieder und immer wieder. Die Qualität seiner Fragen wird sich nie verbessern und sein Gespür dafür ob er stört auch nicht. Romea wird Julio nicht heiraten. Oder wenn, dann nur um endlich Ruhe vor ihm zu haben. Das sind ihre Anfälle von Wahnsinn.
Als die Tür ins Schloß fällt bekommt Romea einen Schreikrampf und führt einen furchtbaren Veitstanz auf, um sich Luft zu verschaffen. Da dringt Gelächter aus dem Arbeitszimmer des Vaters. Romea stößt die Tür auf und schreit: "Das ist nicht lustig." Ihr Vater ist da anderer Meinung und lacht lauthals. "Wieviel Jahre bekommt man, glaubst du, wenn man jemand in Notwehr erwürgt." Jetzt muß Romea auch lachen, aber nur, damit sie vor Verzweiflung nicht losheult. Am Ende dieses strapaziösen Tages bekommt Romea ein SMS: Ich denk an dich, ich liebe dich, von ganzem Herzen, mit Schmerzen, Dein Julio.

Von wegen, Hallo Nachbar. Ich bin eindeutig ein Nachbar in Not.

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