23. 9. 2003
Es ist also der 23. September im Jahre 2003.
Und dies sind Nachtseiten.
Die ersten Seiten, die ich seit fast einer Woche schreibe. Dabei war es eine geschäftige Woche.
Aber vielleicht gerade deshalb.
Jedenfalls, der Grund, warum ich noch hier sitze und schreibe ist, dass ich den Abend noch ausklingen lassen möchte.
Heute Abend hatte Enrique seine Vernissage in Floridsdorf. Und ich las das Gedicht zu dem Bild.
Zu dem Bild, das Mondliebe heißt. Jetzt. Weil mein Gedicht so heißt. Und das Bild hatte ich vorher noch nie gesehen und doch konnte ich ein Gedicht dazu machen – ein Wortgemälde -, dass sich an diesem Abend so manche(r) fragte: Was war zuerst? Das Bild oder der Text? Oder sind beide gar gleichzeitig entstanden?
Zumindest weiß ich über mein Gedicht, dass ich es schon lange in mir trug. Und mit ihm das Bild, das seinen Ausgang durch Enrique fand. Vielleicht ist es zugleich entstanden. In jener einsamen Nacht, mit dem selben Mond, bei dessen Betrachtung ich schon implizierte, dass nun wahrscheinlich viele da hinauf schauen würden, um alle den selben tröstlichen Gedanken zu empfangen, dass der eine Liebende hier sein kann und der andere fern, dass es aber der selbe Mond ist, der all den Raum, und auch die Zeit, überwindet – und zumindest in einem Augenblick den Atem aller Liebenden gleich gehen lässt, im Mondment der Erkenntnis, dass alles Sein nur Widerschein des UnendlichGroßen ist.
So muss es gewesen sein. In jener Nacht, als Enrique sein Bild malte und ich mein Gedicht schrieb, ohne, dass wir einander je kannten und ohne, dass wir auch nur einen Finger rührten, uns nur in der Seele und im Herzen rühren ließen.
Und dann, endlich, letzten Freitag, sah ich das Bild. Und ich war überwältigt. Es ist das erste Bild, das ich haben möchte. Das erste Bild, das ich kaufen würde. Und an die Wand hängen. Zur steten Betrachtung.
Jedenfalls habe ich dann Dorothea gebeten, mir zu übersetzen, was ich gerne auf dem Blatt geschrieben hätte, mit dem Gedicht darauf, das ich schlussendlich ihm widmete, mit Liebe und Verbundenheit.
Es war ein schönes Fest.
Wenngleich es etwas schwierig war, die beiden Kulturen, die aufeinander trafen, unter einen Hut zu bringen. Die Latinos und uns Österreicher. Die Latinos, die sich nicht um Viertelstunden scheren und die Österreicher, die allem eine Struktur geben wollen, auch wenn sie noch so brüchig sein mag.
Ich habe heute viel gelernt.
Dass nicht preußische Pünktlichkeit den Ausschlag gibt, sonder einzig die Zeit des Herzens zählt, die man schon, dann und wann auf die Zeit der anderen Herzen abstimmen muss, was leicht getan ist, mit ein paar Takten Musik.
Und Musik ist so wichtig!
Da macht ein Maler eine Ausstellung, ein wichtige Vernissage – aber gleichzeitig gibt er ein Konzert. Und scheint die Angst nicht zu kennen, obwohl sie aus vielen seiner Bilder spricht.
Es war ein Fest.
Und das Wort, das herrschte war: „Liebe“!
Die Liebe als Geschenk von dem wir kommen.
Egal, wie wir diese Liebe nennen. Ich hoffe so inständig, dass diese Botschaft, zumindest diese Botschaft, den Weg in die Herzen derer gefunden hat, die da waren.
Du. Ich fürchte, Du konntest das Fest nicht so feiern, wie es Dir lieb gewesen wäre.
Leider war da diese Person, die Dich ganz und gar in Beschlag nahm. Soll ich mich wohl äußern? Du hattest ja kaum Raum zu atmen. Und keinen Platz, zum „Hin - Sich – Flüchten“. Ich hätte so gern dieses Fest mit Dir geteilt. Allein – es war schwer möglich.
Doch es war schon pure Lust, Dir beim Arbeiten zuzusehen – mit der Aufgabe betraut, dieses Fest „fest“zuhalten (wie sich die Wortbedeutung auf einmal verschiebt) und wie Du darin aufgingst.
24. 9. 2003
Natürlich.
Im Licht des Morgens, selbst wenn es ein sanfter, verregneter Herbstmorgen ist, sieht alles anders aus.
Da fällt mir dann z. B. auf, dass es nicht gut ist, mit einem Pult vor dem Bauch zu sprechen – zu lesen. Da ist dann dieser Klotz zwischen dem, was ich sage oder sagen will – und dort, wo es endlich ankommen soll.
Eigentlich hätte ich all das gerne ganz anders angelegt, doch man ließ mir keine Wahl. Alles war arrangiert worden. Und mancher wäre wohl verrückt geworden, hätte man einen Sessel nur ein Stückchen weit verrückt…
Ich hätte mich neben das Pult stellen können, dann allerdings wäre der Star des Abends verdeckt gewesen. Dieses Bild. Dieses Bild!
Also las ich dann von dort aus und ich verlor mich in dem Versuch, ein Paar Augen zu finden, an die ich meine Worte senden konnte. Doch Augen waren gestern – lustig, denn schlussendlich war es eine Vernissage – schwer zu fassen.
Bis ich endlich die von Enrique fand. Und die hatten Tränen in den Augen.
Weiter ging es mit Applaus. Und mit einem Loch, in das ich zu stürzen drohte, eine seltsame Leere, die mich sofort vergessen ließ, was ich gerade zuvor getan hatte.
Dann kamen noch zwei Lieder.
Dann war die Ausstellung eröffnet.
Dann, nachdem mir Enrique um den Hals gefallen war. Und mir wortlos etwas sagte.
Ich glaube, er sagte, dass er sicht verstanden fühlte. Ich glaube, das erste Mal, seit sehr, sehr langer Zeit.
Und das – ohne Sprache.
Mit Erleichterung stelle ich fest, dass dieser Morgen wirklich ungewöhnlich sanft zu mir ist.
Es war Zeit.
Die rechte Zeit.
Seelenzeit.